Joseph-Samuel-Bloch-Medaille an Ariel Muzicant
Im Rahmen einer Festveranstaltung der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich im Gemeindezentrum der
IKG Wien wurde am 4. Juni 2013 Dr. Ariel Muzicant die Joseph-Samuel-Bloch-Medaille für besondere Verdienste um die jüdische Gemeinde und im Kampf gegen den Antisemitismus überreicht.
Eine Laudatio der wissenschaftlichen Leiterin des DÖW, Brigitte Bailer
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Aktion gegen den Antisemitismus,
vor allem aber sehr geehrter Herr Dr. Muzicant, lieber Ari!
Es ist mir heute eine besondere Ehre und Freude, hier für Dich diese Laudatio halten zu dürfen. In den letzten 15 Jahren haben von Dir gesetzte Initiativen und Anregungen auch auf mein berufliches Leben zurückgewirkt, Du hast aber auch Dinge aufgegriffen, die mir aus meiner Auseinandersetzung mit dem Leben der Opfer des Holocaust nach 1945 ein wichtiges Anliegen gewesen sind. Wenn ich nun in der Folge versuche, wesentliche Stationen des Kämpfers für die Rechte der jüdischen Gemeinde und gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus Ariel Muzicant zu skizzieren, dann ist das nicht ohne den engen Kontext mit Deinem Wirken als langjähriger Präsident der IKG möglich.
Als 1945 die IKG wieder gegründet wurde, glaubte bekanntlich niemand an deren längerfristige Existenzmöglichkeit, die Funktionäre sahen sich primär als Liquidatoren der ehemals so stolzen und großen Gemeinde. Eine Folge davon berührt die IKG ja bis heute - Teile des wertvollen Archivmaterials wurden als Konsequenz dieser Überzeugung nach Jerusalem gebracht, sodass es zu einer geographischen Aufsplitterung des archivalischen Erbes der Gemeinde kam - ein Umstand, der gerade Dir, Ari, in den letzten Jahren einiges an Ärger bereitet hat. Es dauerte auch rund 40 Jahre, bis die IKG das Trauma der Shoah und des mörderischen Antisemitismus so weit überwunden hatte, dass sie wieder begann, sich in politischen Auseinandersetzungen zu Wort zu melden. Hier setzte der leider schon verstorbene Hofrat Paul Grosz erste Schritte, beispielsweise in der Waldheim-Debatte. Ich habe das damals als mutig und wichtig von ihm empfunden. Du hast ja damals Paul Grosz über mehrere Jahre als Vizepräsident der IKG in seiner Arbeit unterstützt und begleitet. Als Du 1998 dann selbst zum Präsidenten gewählt wurdest, bedeutete dies eine grundlegende Neuorientierung der IKG in deren Positionierung in Politik und Gesellschaft. Du bist 1952, also sieben Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft geboren. Die Shoah spielte in aller ihrer Grausamkeit in Deiner Familie so wie in allen jüdischen Familien Europas eine zentrale Rolle. Du selbst aber bist - trotz aller Probleme, mit denen Du als jüdisches Kind konfrontiert wurdest - in ein demokratisches und rechtsstaatliches Österreich hineingewachsen, hast die Schule besucht, studiert. Damit konntest Du ein anderes jüdisches Selbstbewusstein entwickeln, mit dem Du so erfolgreich an Deine neue Aufgabe herangehen konntest, dass Du letztlich drei Mal in der Folge zum Präsidenten der unter Deiner Leitung aufstrebenden Gemeinde gewählt wurdest. Könnten David Brill oder andere der Gründergeneration von 1945 die heutige Gemeinde sehen - sie wären nicht nur verblüfft, sondern wohl auch sehr stolz auf das nun Erreichte, das sie damals nicht für möglich gehalten hätten. Deine Leistungen fanden auch internationale Anerkennung - seit 2003 wirkst Du als Vizepräsident im Europäischen Jüdischen Kongress, was Dir wesentliche Einblicke auch in die Situation der anderen jüdischen Gemeinden Europas verschafft. Und nicht zuletzt auch diese Einblicke bestärken Dich in Deinem Kampf gegen den Antisemitismus, der vor allem vor dem Hintergrund der Finanzkrise und den damit verbundenen politischen Unsicherheiten sowie vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts erschreckend anwächst - nicht nur im benachbarten Ungarn, das uns allen große Sorge bereitet, sondern auch in Ländern wie Schweden, die bisher für ihre Offenheit und Toleranz berühmt gewesen waren.
Auch in Österreich stieg in den letzten Jahren die Zahl antisemitisch motivierter Straftaten deutlich an. Ähnlich wie Rabbi Joseph Samuel Bloch, nach dem die heute überreichte Ehrung benannt ist, hast auch Du versucht, politisch und antisemitisch motivierten Verleumdungen und falschen Behauptungen mit Fakten zu begegnen - ein mühsames Unterfangen, auf dessen Wirksamkeit wir alle hoffen. Auch wenn wir wissen, dass wir damit nur verhindern können, dass Unwissende den Rattenfängern nachlaufen. Die Rattenfänger selbst und deren fanatische Anhänger sind meist so tief in ihren antisemitischen Vorstellungen verfangen, dass ihnen nur schwer wieder ein Weg herausgewiesen werden kann. Politische Instrumentalisierung des Antisemitismus ebenso wie antisemitische politische Strömungen hingegen müssen mit allen Mitteln des demokratischen Rechtsstaates bekämpft werden - und auf diesem Gebiet hast Du Dich mit aller Kraft engagiert, vor allem in der Auseinandersetzung mit der FPÖ und den dort befindlichen "Kellernazis". In der Vorbereitung zu dieser Laudatio habe ich den Medien entnommen, dass Du Dich in nicht weniger als 14 Prozessen mit Haider auseinandergesetzt hast, die Du letztlich verglichen hast, aber Haider die Zusage abgerungen, diffamierende Behauptungen und klar antisemitisch konnotierte halblustige Wortspielereien - alle wissen, was ich meine, ich möchte mir ersparen, diesen unsäglichen Sager hier zu wiederholen - künftig zu unterlassen. Doch was viele von uns - mich eingeschlossen - nicht für möglich gehalten hätten, es ist mit dieser Partei noch schlimmer gekommen. Der rechte Rand franst nun bis in den Neonazismus aus, der 3. Nationalratspräsident bedient sich einschlägig bekannter rechter und rechtsextremer Mitarbeiter, Posters auf der von seinem Umfeld und von ihm getragenen Website applaudieren dem norwegischen Massenmörder, die Justiz findet trotz eindeutig antisemitischer Anspielungen keinen Grund, gegen Karikaturen auf der Facebook-Seite des Parteiobmanns einzuschreiten. Du verwendest in diesem Zusammenhang auch durchaus griffige Formulierungen: Deinem Wunsch, Mölzer und Co im "Mistkübel der Geschichte" landen zu sehen, kann ich mich hier nur vollinhaltllich anschließen. Gleichzeitig scheust Du - ungeachtet Deiner eigenen politischen Positionierung - nicht die Auseinandersetzung mit antisemitischer, antizionistischer Israelkritik von linker Seite, die besonders im Kontext der Gaza-Flotille hochschwappte und sich derzeit für eine Kennzeichnung von Waren aus den israelischen Siedlungen stark macht. Von Rechten erwartet man nichts anderes, von linker Seite ist es für viele von uns besonders schmerzlich. Doch politische Scheuklappen haben in dieser Auseinandersetzung nichts zu suchen - Du verdeutlichst dies durch Dein Auftreten immer wieder. Der Kampf muss weitergehen - aber Antisemitismus geht uns alle an, seine Bekämpfung kann und darf nicht alleine Sache der Juden sein. Gerade das hast Du immer wieder sehr klar zum Ausdruck gebracht. Es ist die Sache der nichtjüdischen Mehrheit, hier ganz klare politische Schranken zu setzen. Im Sinne der Aufrechterhaltung und Durchsetzung allgemeinen und unteilbaren Menschenrechte.
Und es ist die Verteidigung der Menschenrechte, die Dich auch gegen Fremdenfeindlichkeit und eine oft unmenschliche Asylpolitik auftreten ließ und lässt, wie Du selbst einmal in einem Interview 2001 angemerkt hast. Du hast im Falle "Arigona" ebenso Stellung bezogen, wie Du Dich gegen die von Rechtsextremen und Populisten nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa aggressiv vertretene Islamfeindlichkeit gewandt hast. Die Differenzierung zwischen der bösartigen Angriffen ausgesetzten Mehrheit der muslimischen Bevölkerung auf der einen und einem radikalen, gewaltbereiten und politisierten Islamismus auf der anderen Seite ist oft schwer zu vermitteln, sind es doch in vielen europäischen Ländern muslimische Migranten, die zu Trägern eines aggressiven Antisemitismus werden - ich erinnere nur an die Morde von Toulouse oder die Situation in Malmö. Hier ergeben soziale Probleme, gesellschaftliche Isolierung und religiöser Fanatismus eine höchst gefährliche und explosive Mischung.
Doch Ariel Muzicant steht nicht nur für den Kampf gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Menschenrechtsverletzungen, er steht auch für das Streben nach Gerechtigkeit nach historischem Unrecht und konkreter Hilfe für die Überlebenden. 1994 hast Du, gemeinsam mit Deinem Cousin David Vissoky und Unterstützung der Stadt Wien, Esra gegründet - eine ganz wesentliche Institution, die überlebenden NS-Opfern therapeutische Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Traumata bietet. Zuvor waren diese Menschen auf sich selbst gestellt, vor allem wenn sie finanziell nicht in der Lage waren, Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Aber es gab auch kaum Therapeuten, die sich mit dem aus der Verfolgung resultierenden psychischen Leiden auseinanderzusetzen in der Lage waren. Ich habe selbst die Not dieser Menschen im Zuge meiner Arbeit im DÖW erlebt, einmal sehr konkret nach einem Interview mit einer Überlebenden von Riga. Und ich kann mich gut erinnern, wie froh ich für diese Menschen über die Gründung von Esra war, das seither auch zu einem verlässlichen Kooperationspartner des DÖW geworden ist.
Für die historische Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts war die gleichfalls von Dir ausgehende Anregung zur Gründung der Österreichischen Historikerkommission 1998 von unschätzbarem Wert. Du hast damals die richtige Konsequenz aus der internationalen Situation gezogen - eine Konsequenz auch im Sinne des Ansehens Österreichs, aber auch im Sinne der Opfer. Die Historikerkommission wurde zum wohl größten historischen Forschungsunternehmen der österreichischen Nachkriegsgeschichte, ihre publizierten Ergebnisse sind ein, wie manche sagen, "Bergwerk", aus dem nachfolgende Forschungen nach wie vor schürfen können. Es war aber auch für die beteiligten Historiker und Historikerinnen ebenso wie die Juristen (da waren keine Frauen dabei) eine Art Goldgräberzeit, die es uns ermöglichte, Neuland der zeitgeschichtlichen Forschung zu betreten. Wie es mit Kindern aber manchmal so ist - man ist nicht immer mit allem zufrieden, das sie so tun. So war es für Dich auch mit der Historikerkommission - unser Forschungsbericht über Vermögensentzug und Rückstellung im Bereich jüdischer Vereine und Einrichtungen hatte nicht ganz Deinen Erwartungen entsprochen. Aber ich denke, auch dieses Missverständnis konnte erfolgreich ausgeräumt werden.
Noch während der Arbeit der Historikerkommission wurden internationale Entschädigungsverhandlungen unter Vermittlung von Stuart Eizenstat eingeleitet. Die von Dir und vielen von uns heftig kritisierte schwarz-blaue Koalition sah darin eine wertvolle Exitstrategie aus der internationalen Kritik an der Regierungsbeteiligung der Haider-FPÖ. Es ist ja eine Ironie der Geschichte, dass jene politischen Kräfte, die in den 1940er- und 1950er-Jahren heftig gegen die Rückstellungsgesetzgebung zu Felde zogen, nun 2001 ein Entschädigungsabkommen zu unterzeichnen sich gezwungen sahen. Ich war damals als unabhängige Expertin in diese Verhandlungen am Rande involviert und kann mich gut erinnern und gestehe hier heute, dass ich Deine unnachgiebige Haltung in diesen Verhandlungen und Deine nicht erfolgte vorbehaltlose Unterzeichnung des Abkommens von Washington damals nicht ganz verstanden habe. Doch ich stehe nicht an zuzugeben - das Ergebnis gab Dir recht, Du hast damals den Maximalerfolg für Deine Gemeinde erzielt. Und nun gibt es sogar Bewegung in dem seit damals immer wieder thematisierten Problembereich der jüdischen Friedhöfe, deren Verfall aufgrund der mangelnden Unterstützung durch die öffentliche Hand Du mit scharfen Worten kritisiert hast: jeder Soldatenfriedhof wird gepflegt, während jene Friedhöfe dem Verfall preisgegeben werden, wo die Vorfahren der Ermordeten zur letzten Ruhe gebettet worden waren.
Sie sind Teil der Geschichte der jüdischen Gemeinden Österreichs - und die Bewahrung des historischen Erbes war und ist Dir stets ein großes Anliegen gewesen. Daher bemühst Du Dich seit nunmehr mehr als einem Jahrzehnt um die Bewahrung des großartigen Archivs der IKG, das für HistorikerInnen wahre Schätze birgt. Die in Israel liegenden Teile stehen ja jetzt auch wenigstens als Mikrofilm und in absehbarer Zeit als Digitalisat der Forschung zur Verfügung. Der Bewahrung dieses Archivs sowie des Archivs von Simon Wiesenthal sollte die Gründung des Wiener Wiesenthal-Instituts dienen, die bedauerlicherweise auch von Konflikten begleitet war, aus denen einen Ausweg zu finden wir uns gemeinsam- wie ich denke erfolgreich - bemüht haben. Das Institut ist nun auf gutem Weg, international bereits sehr geschätzt, nur die Heimstätte, das endgültige Dach über dem Kopf fehlt noch. Hier ist Abhilfe aber auf dem Weg, nicht zuletzt dank Deines unermüdlichen Einsatzes. Als Leiterin des DÖW hoffe ich auf eine Zukunft guter und für beide Seiten fruchtbarer Zusammenarbeit.
Das DÖW, dessen Vorstand Du ja seit vielen Jahren angehörst, steht seit nunmehr 50 Jahren im Dienst der Erforschung der Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung und des Widerstandes gegen das NS-Regime. Die Ergebnisse dieser Forschungen bemühen wir uns auf jedem nur möglichen Weg zu veröffentlichen, den Menschen nahezubringen. Eine ähnliche Aufgabe kommt auch dem VWI zu. Und trotzdem hast Du mehrmals angemerkt, dass das Bewusstsein über die Verbrechen des Nationalsozialismus noch nicht wirklich in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft angekommen ist - eine Feststellung, die auch meiner Erfahrung entspricht. Und eine Gesellschaft, die noch immer da und dort Sympathien und Verständnis für die Täter aufbringt, den 8. Mai nicht als Tag der Befreiung, sondern der Niederlage empfindet, ist nicht in der Lage, sich offen ihrer eigenen Geschichte zu stellen.
Deine Kritik an Nachkriegsentwicklungen, an Antisemitismus und Rechtsextremismus, aber auch Deine Durchsetzungsfähigkeit haben Dir nicht nur Freunde geschaffen. Aber wenn man die Auseinandersetzung mit Unmenschlichkeit, Rassismus und Antisemitismus ernst nimmt, darf und kann man nicht auf den Applaus der breiten Mehrheit hoffen - dann betreibt man diesen Kampf nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit. Wer unbequeme Wahrheiten ausspricht, wird als unbequem empfunden, ist er doch der Stachel gegen Biedersinn und Selbstzufriedenheit.
In diesem Sinne möchte ich Dir auch persönlich sehr herzlich zu der heutigen Auszeichnung gratulieren - Österreich braucht Menschen wie Dich und Instititutionen wie die Aktion gegen den Antisemitismus. Es gilt, gegen Antisemitismus nicht nur zu sprechen, sondern manchmal auch zu schreien - und das werden wir gemeinsam weiterhin tun! Danke für Deinen Einsatz, Ari, und alles Gute auch weiterhin.