Andreas Khol

Entgleisungen!

Rassistische und antijudaistische Parolen werden einfach hingenommen.

(Veröffentlicht in:
Die Presse, Printausgabe, 9. 6. 2007.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors, Präsident des Nationalrates a. D.
Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol.)

Ja wo sind wir denn, schon wieder, dachte ich mir. Im Standard sprach der Großindustrielle und frühere liberale Politiker Hanspeter Haselsteiner von seinem neuen russischen Geschäftspartner Deripaska und sagte wörtlich: "... ich will mich nicht einmischen bei den Oligarchen und schon gar nicht bei dem jüdischen Netzwerk, das sie darstellen." [Stellungnahme von Hans Peter Haselsteiner »] Was ist da passiert, wer war da nachlässig und ließ solch unverhohlen antisemitische Unterstellungen durchgehen? Gerade im Blatt der Lordsiegelbewahrer der political correctness! Derartige Worte in einem anderen Blatt hätten raue Kommentare und getraxelte Blattsalate im Standard bewirkt! Im Blatt selbst äußerte man sich auch später nicht dazu. Enttäuschend!

Drei Tage danach las ich Erna Lackners Quergeschrieben. Sie zitierte obige Worte. Sie geißelte den Kapitalismus, hängte der antisemitischen Katze aber die Schelle nicht um. Kein Wort zur ungeheuerlichen Behauptung, ein jüdisches Netzwerk beherrsche Russland in der Form der Oligarchie. Grüne Augen blind in die liberale Richtung? Mangelnde Erkenntnis und fehlende Sensibilität können es wohl nicht sein, oder fehlt die Zivilcourage? Ich wollte gleich dagegen querschreiben, zögerte aber, das eigene Nest zu beschmutzen.

Als ich dann eine Woche später die Berichte vom Fußball-Länderspiel gegen Schottland las, war mein Zögern dahin. Der Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft Andreas Ivanschitz wurde von Rapid-Fans als "Judasschitz" beschimpft – auf großen Spruchbändern, für alle sichtbar, während des ganzen Spiels. Niemand schritt ein! Weder der Ordnerdienst noch die zahlreich vertretenen Polizisten. Auch hier ein ähnliches Muster. Rassistische und gleichzeitig antijudaistische Parolen werden einfach hingenommen. Die Medien, Gott sei Dank, verurteilten die Hetze.

Um Verhetzung im Sinne des Strafgesetzbuches scheint es in der Tat zu gehen, Rassismus und Antijudaismus! "Ist ja alles nicht so arg, wir wollten ja nur eine Aufschaukelung vermeiden, das nächste Mal lassen wir das nicht durch" usw., so tönten die Hofräte Hinsichtl und Rücksichtl. Nicht so arg!? "Jüdisches Netzwerk", jüdische Oligarchen, das trägt den Kern der Hassbotschaft des Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts in sich: dass die Juden als Rasse und Religion ein Netzwerk bilden, um mit ihrem Geld ein Land, ja die Welt zu beherrschen. Damit kommt die Weltverschwörung der "Weisen von Zion" ins Spiel, einer weit verbreiteten antisemitischen Fälschung vergangener Zeit.

Eine ebenso wenig zu rechtfertigende Wortwahl wie das Wort "Judasschitz". Hinter diesem Wort steht, bewusst oder unbewusst, der christliche Antijudaismus, der seit dem Mittelalter an der Wurzel des europäischen Antisemitismus liegt. Judas, der den Herrn verraten hat, für dreißig Silberlinge. Ist diese Fan-Gemeinde die Fortsetzung des notorischen Antisemitismus in einem Fußballklub? Werden nun die Verantwortlichen ihre Verantwortung wahrnehmen? Die Worte des Baumagnaten sind seiner nicht würdige Entgleisungen, aber nicht strafbar. Die Hetze im Stadion ruft nach dem Staatsanwalt! Ob der Ruf gehört wird und Konsequenzen gezogen werden, das ist die Nagelprobe.



Stellungnahme Hans Peter Haselsteiners, 20. Juni 2007
(e-mail an Hon.-Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer):


Sehr geehrter Herr Professor,

ich beziehe mich auf Ihr Mail und die Mitteilung, dass Sie den Kommentar von Nationalratspräsidenten a. D. Dr. Andreas Kohl, der u. a. mein Interview im Standard vom 18. 5. 07 kritisiert, auf Ihre Website stellen wollen. Dazu teile ich Ihnen mit, dass es nicht meine Absicht war, ein antisemitisches Stereotyp zu unterstützen, wenn ich auch zugestehen muss, dass meine Wortwahl diesbezüglich unglücklich war. Sollte eine solcher Eindruck entstanden sein, bedauere ich dies sehr.

Mit freundlichen Grüßen

Hans Peter HASELSTEINER


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