Joseph-Samuel-Bloch-Medaille an Karl Pfeifer
Der für sein Engagement und seine Zivilcourage bekannte Journalist und Autor Karl Pfeifer wurde am 24. November 2003 mit
der Joseph-Samuel-Bloch-Medaille der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich ausgezeichnet.
Eine Laudatio des wissenschaftlichen Leiters des DÖW, Wolfgang Neugebauer
Es ist mir eine besondere Freude, die Laudatio für Karl Pfeifer zu halten, weil ich mich ihm über die normale
kollegiale Zusammenarbeit hinaus freundschaftlich verbunden fühle und ich zutiefst überzeugt bin, dass er auf
Grund seines Lebenswerkes, seines Einsatzes im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus, ein würdiger Träger der
Josef-Samuel-Bloch-Medaille ist.
Lassen Sie mich zuerst einleitend erklären, warum die Aktion gegen den Antisemitismus diese Medaille gestiftet
hat und welche Persönlichkeiten damit ausgezeichnet wurden und werden. Wie ihr Namen sagt, bemüht sich die Aktion,
eine traditionsreiche Organisation, gegründet von Bertha von Suttner, dem in unserem Land tief verwurzelten und in
beispiellosen Verbrechen kulminierenden Antisemitismus entgegenzuwirken. Dies geschieht durch Informations- und
Bildungsveranstaltungen, durch wissenschaftliche Arbeiten, in Schulen, Universitäten, in der Volksbildung und
Öffentlichkeit. Profilierte und engagierte Persönlichkeiten wie Carry Hauser, Erika Weinzierl und Elisabeth
Orth als Vorsitzende haben der Aktion ihren Stempel aufgedrückt.
Um besondere Verdienste zu würdigen, wurde 1994 die Josef-Samuel-Bloch-Medaille geschaffen. Sie erinnert an
einen mutigen, streitbaren und klugen Juden, der als Rabbiner von Floridsdorf und Reichsratsabgeordneter 1883-1895
wirkungsvoll den Antisemitismus bekämpfte. Er wies in einem Gerichtsverfahren einen der übelsten antisemitischen
Hetzer auf Universitätsboden, den Prager Universitätsprofessor und Ritualmordpropagandisten August Rohling, in die
Schranken, der mit seiner Schrift "Der Talmudjude" den katholischen Antisemitismus schürte und später von der
NS-Propaganda, aber auch heutigen Antisemiten aufgegriffen wurde. Der erste mit dieser nach Rabbiner Dr. Bloch
benannten Medaille Ausgezeichnete war Univ. Prof. Dr. Kurt Schubert, der langjährige Ordinarius für Judaistik an
der Universität Wien; als Zweite folgte Univ. Prof. Dr. Erika Weinzierl, die Grande Dame der österreichischen
Zeitgeschichte. Kurt Schubert und Erika Weinzierl, die katholische Einstellung, Philosemitismus im besten Sinn
dieses Wortes und gemeinsames geistig-politisches Wirken seit 1945 verbindet, sind in einem Atemzug und als Erste
zu nennen, wenn wir Verdienste von Nichtjuden für die österreichischen Juden und bei der Bekämpfung von antisemitischen
Vorurteilen würdigen wollen. Der dritte Ausgezeichnete war Professor Rudolf Gelbard, auf dessen Verdienste und vorbildliches
Wirken in der Kultusgemeinde, bei den sozialdemokratischen Freiheitskämpfern und in der demokratischen Öffentlichkeit
ich in diesem Kreis nicht hinzuweisen brauche.
Ich komme nun auf den Mann zu sprechen, der heute als Vierter in dieser Reihe bedeutender Persönlichkeiten ausgezeichnet
wird: Karl Pfeifer.
"Nicht immer ganz bequem", heißt der zutreffende Titel eines Buches von ihm. Karl Pfeifer war und ist kein bequemer
Mensch; er hat es sich in diesem Land nicht bequem eingerichtet. Er konnte dies auch gar nicht; denn schon als Kind
war er mit Antisemitismus, Diskriminierung und Judenverfolgung konfrontiert. 1928 in Baden bei Wien geboren und
aufgewachsen, musste er schon früh erfahren, was es heißt, als Jude in feindlicher Umgebung zu leben. Nach dem so
genannten "Anschluss" Österreichs an Hitlerdeutschland und dem damit verbundenen gewalttätigen Ausbruch des
österreichischen Antisemitismus musste die Familie im Sommer 1938 nach Ungarn, das Geburtsland von Karls Eltern,
fliehen. Das von Ausgrenzung und Diskriminierung gespeiste Gefühl der universellen Ausgeschlossenheit führte ihn
zum Linkszionismus. So trat Karl 1940 dem Hashomer Hazair, einer auch in Ungarn illegalen jüdisch-sozialistischen
Jugendgruppe, bei. Dort erwuchs ihm das Bewusstsein der drohenden Gefahr durch den Vernichtungsantisemitismus.
Während viele seiner Verwandten dem Holocaust zum Opfer fielen, konnte sich Karl in Sicherheit bringen.
Anfang 1943 war er unter 50 jüdischen Kindern und Jugendlichen, die auf abenteuerliche Weise die Flucht
nach Palästina schafften.
Voller Begeisterung für das jüdisch-sozialistische Aufbauwerk fand Karl in einem Kibbuz eine neue Heimat.
Doch auch hier war das Leben nicht sicher, waren doch die jüdische Bevölkerung Palästinas und der sich
formierende Staat Israel von Anfang an in seiner Existenz tödlich bedroht. Zwischen 1947 und 1949 kämpfte
Karl in der Hagana und später in der israelischen Armee, zunächst für die Unabhängigkeit und dann für den Bestand
Israels. Das wird ihm heute von linken AntizionistInnen vorgehalten. Dr. John Bunzl, der ein Freund Israels sein will,
wirft Karl Pfeifer vor, dass er an der "palästinensischen Nakbah" (Katastrophe) beteiligt war und für Letzteres "niemals eine
Verantwortung übernommen hat". DI Tarafa Baghajati, Repräsentant der Initiative muslimischer Österreicher, dem offenbar diese
heutige Ehrung missfällt, schreibt mir am 16. 11., dass Karl Pfeifer "als militanter Besatzer" nach Palästina hingefahren war
und "als solcher dort agierte". Ein Fünfzehnjähriger, der mittel- und waffenlos vor den NS-Judenverfolgungen in Europa geflüchtet
ist, wird zum Besatzer herabgewürdigt und zum Schuldigen an einer Katastrophe, die in Wirklichkeit durch den Aggressionskrieg der
arabischen Nachbarn gegen Israel ausgelöst wurde. Eine solche einen Überlebenden des Holocaust diffamierende Sichtweise ist nicht
nur schärfstens zurückzuweisen, sondern es ist auch kritisch zu hinterfragen, wo die Grenze zwischen zulässiger Kritik an Israel und
Antisemitismus zu ziehen ist.
Dass Karl Pfeifer trotz seiner schmerzlichen persönlichen Erfahrungen nach Österreich zurückkehrte, sich mit diesem Land und
dessen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen stets auseinander setzte, zeugt von einem hohen Maß an Leidensbereitschaft
und Konfliktfähigkeit. Seine Unbeugsamkeit und seine Konsequenz, aber auch seine politische Grundhaltung als radikaler Demokrat und
Sympathisant der linken Zionisten sorgten dafür, dass er auch in der jüdischen Gemeinde und mit der Sozialdemokratie kein leichtes
Lebens hatte.
Die Anfänge nach seiner Rückkehr 1951 waren nicht leicht: Die jüdischen RemigrantInnen waren ja nicht eingeladen worden zurückzukehren;
sie wurden nicht wie der Kriegsverbrecher Walter Reder von einem Minister mit Handschlag empfangen. Karl arbeitete in verschiedenen
Berufen durchaus erfolgreich, ehe er sich immer stärker der politischen Publizistik zuwandte. Bald wurde er zu einem leidenschaftlichen
Streiter gegen den in den 60-er und 70-er Jahren zunehmend in der Linken grassierenden Antisemitismus, der sich antizionistisch gebärdet.
Zunächst in Leserbriefen und dann als Autor in verschiedenen Zeitungen widmete sich Karl daneben dem "Realen Sozialismus" in Ungarn und
den NS-Kontinuitäten in der Zweiten Republik. Er scheute auch nicht die Auseinandersetzung mit Bruno Kreiskys Positionen zu den Juden,
zu Israel und zu den Palästinensern. Diese Kritik am österreichischen "Sonnenkönig", die auch dessen Verhältnis zu den alten Nazis und
zur Peter-FPÖ aufgriff, wurden von vielen, auch in der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), nicht goutiert.
Zwischen 1982 und 1995 arbeitete Karl Pfeifer hauptberuflich als Redakteur der Gemeinde, des Organs der IKG. Dem zunehmenden
Selbstbewusstsein der unter Kreisky in der Defensive befindlichen jüdischen Gemeinde verlieh Karl Pfeifer Ausdruck. Aber nicht
nur in der Gemeinde, auch in vielen Medien des In- und Auslandes, nicht zuletzt als Korrespondent des israelischen Rundfunks,
hat er unzählige kritische Beiträge und Kommentare verfasst. Sie lösten nicht selten kontroversielle Diskussionen aus. Ich denke
etwa daran, welches Aufsehen sein Interview mit FPÖ-Chef Haider erregte, in dem dieser den Hitlerdeutschen Angriffskrieg gegen
die Sowjetunion als Verteidigungskampf für Europa hinstellte. Auch seine kritischen Fragen bei der ersten, im Fernsehen live
übertragenen Pressekonferenz der schwarz-blauen Regierung wurden gewiss nicht angenehm empfunden. Weniger bekannt ist, dass
Karl Pfeifer auch dazu beitrug, dass die berüchtigte Krumpendorfer Rede von Haider 1995 an die Öffentlichkeit gelangte.
Sein Engagement brachte Karl Anfang 2000 den Vorwurf der von Haider-Berater Andreas Mölzer herausgegeben Zeitschrift Zur Zeit
ein, den rechtsextremistischen Politologen Pfeifenberger in den Tod "gehetzt" zu haben. Er identifizierte nämlich zuvor
Pfeifenbergers Auslassungen im FPÖ-Jahrbuch als "NS-Töne", was diesen in Konflikt mit österreichischem Recht brachte.
Einem Verbotsgesetzverfahren entzog sich Pfeifenberger mutmaßlich durch Selbstmord, wofür der "jüdische Journalist Karl Pfeifer"
verantwortlich gemacht wurde.
Aus dem vielfältigen publizistischem Werk Karl Pfeifers möchte ich vor allem auf die fundierten Beiträge zur postkommunistischen
Entwicklung in Ungarn und Kroatien hinweisen. So sehr er die Überwindung der kommunistischen Diktatur begrüßte, so wenig Verständnis
hatte er für chauvinistische, rassistische und antisemitische Strömungen in diesen neuen Demokratien. Praktisch als Einziger setzte er
sich mit diesen bedenklichen Erscheinungen auseinander. Seine Artikel verschonten auch nicht den Präsidenten Kroatiens, Franjo Tudjman,
der die Shoah relativierte.
Karl Pfeifer übte immer wieder Kritik an der israelischen Politik und schrieb gegen fundamentalistische Strömungen in Israel.
Wogegen er sich aber stets mit Nachdruck wandte, war Antisemitismus im neuen Gewand, war vor allem der unzulässige Vergleich der
Shoah mit vermeintlichen oder tatsächlichen Übergriffen Israels im Nahost-Konflikt, weil auf diese Weise der in der Geschichte
beispiellose Genozid verharmlost und der Unterschied zwischen der Demokratie Israel und den diktatorischen und autoritären
arabischen Regimes eingeebnet wird.
Diese Tendenzen, die einseitig gegen Israel gerichtete Kritik in europäischen Medien und Politik, die der politisch-moralischen
Delegitimierung des jüdischen Staates dienen, haben sich leider in den letzten Monaten verschärft. So hat z. B. der Chefredakteur der
Zukunft Albrecht Karl Konecny Israel als "Gesellschaft der Gewalt" bezeichnet, die ihr "moralisches Kapital" verspielt habe, wobei er
als einzigen Beweis die Demütigung eines Palästinensers durch eine israelische Polizistin anführte. Ein diesbezüglicher Leserbrief
Karl Pfeifers wurde nicht gebracht; nach Protesten von mir und anderen bei SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer wurde mir das Recht zu einer
Stellungnahme eingeräumt; dieser Beitrag "Israelkritik - Antisemitismus. Versuch einer Abgrenzung" ist mehrere Monate nicht
veröffentlicht worden und erst nach neuerlichen Protesten in der Novembernummer der Zukunft erschienen. Die Folge unserer
klaren Stellungnahme zu diesen neuen antisemitischen Strömungen waren heftige Angriffe gegen Karl Pfeifer, mich und andere
Mitarbeiter des DÖW, wobei das politische Spektrum von Sozialdemokraten über stalinistische Kommunisten, trotzkistische
Sektierer, jüdische Antizionisten, Freiheitliche und Saddam-Sympathisanten bis hin zu verschiedenen arabischen und
islamischen Gruppierungen reichte. Ich denke, wenn wir auf der einen Seite von Leuten wie FPÖ-Jungpolitiker Johann
Gudenus gerade wieder als "kommunistisch" bezeichnet werden und auf der anderen Seite von islamischen Fundamentalisten
der "intellektuellen und ideologischen Nähe zu US-Kriegsideologen" beschuldigt werden, so liegt das DÖW auf dem richtigen Weg.
Seit seiner Pensionierung ist Karl Pfeifer aktiver denn je, reist zu Veranstaltungen im In- und Ausland, macht Interviews,
schreibt Artikel und Leserbriefe; im DÖW, dessen Kuratorium er angehört, ist er fast täglich anwesend, er recherchiert, diskutiert
und hilft, wenn es notwendig ist. So besorgte er mir z. B. im Jahr 2001 für einen Prozess, den Jörg Haider gegen mich führte, ein
Haider-Interview im israelischen Fernsehen. Wir sind ihm für seine Unterstützung sehr dankbar, und unsere MitarbeiterInnen und ich empfinden
für ihn hohe Wertschätzung und Sympathie.
Für mich ist Karl Pfeifer einer der wichtigsten streitbaren Publizisten Österreichs - nicht nur weil er im Bereich
Vergangenheitsaufarbeitung und Antifaschismus seine Schwerpunkte setzt, sondern weil er eine moralische Instanz, ein
Unbeugsamer, ein Unbequemer ist, der herausfordert, bewegt und mutig unheilvollen antidemokratischen und menschenverachtenden
Tendenzen mit all seiner Kraft entgegenwirkt.
Ich meine, Karl Pfeifer ist ein würdiger Nachfahre des Rabbiners Bloch, und er verdient es daher, mit dieser Medaille
ausgezeichnet zu werden. Die Josef Samuel-Bloch-Medaille kommt von einer kleinen, in bescheidenem Rahmen wirkenden
Organisation, aber sie kommt aus den Herzen der Mitstreiterinnen und Mitstreiter.