Den Finger auf alle Wunden,
zu jeder Zeit

Karl Pfeifer, Holocaust-Überlebender und publizistischer Streiter gegen den Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen, feiert Ende August seinen 80. Geburtstag.
Eine Würdigung von Heribert Schiedel

(verfasst für Scholars for Peace in the Middle East - SPME: http://www.spme.net/)


In Baden aufgewachsen, musste Karl früh erfahren, was es heißt, als Jude in feindlicher Umgebung zu leben. Mit dem "Anschluss" radikalisierte sich der österreichische Antisemitismus weiter und an eine gesicherte Existenz war immer weniger zu denken. Nun auch formal ausgestoßen und von der "Volksgemeinschaft" beraubt, floh die Familie im Sommer 1938 nach Ungarn, dem Geburtsland von Karls Eltern. Nach einem knappen Jahr im jüdischen Internat Debreczen, wo Karl in gesicherter Umgebung kurz daran glaubte, Jude und Ungar sein zu können, war er auch in Budapest mit Antisemitismus konfrontiert. Das Gefühl der universellen Ausgeschlossenheit führte ihn zum Linkszionismus. So trat Karl 1940 dem Hashomer Hazair, einer auch in Ungarn illegalen jüdisch-sozialistischen Jugendgruppe, bei. Dort erwuchs ihm das Bewusstsein der drohenden Gefahr durch den Vernichtungsantisemitismus. Während viele seiner Verwandten in den deutsch-österreichischen Todesmühlen ermordet wurden, konnte sich Karl in Sicherheit bringen. Anfang 1943 war er unter 50 jüdischen Kindern und Jugendlichen, die auf abenteuerliche Weise mit einem der letzten Transporte die Flucht nach Palästina schafften. 60 Jahre später musste er sich deswegen von einem Wiener Islam-Funktionär als "militanter Besatzer" beflegeln lassen. Sein Vater überlebte in einem Kellerversteck, starb jedoch unmittelbar nach der Befreiung durch die Rote Armee. Karls Mutter starb bereits 1941 nach längerer Krankheit.

Voller Begeisterung für das jüdisch-sozialistische Aufbauwerk fand Karl im Kibbuz Maabarot bei Chedera eine neue Heimat. Doch auch hier war das Leben bedroht: Von Einpeitschern wie dem Großmufti von Jerusalem, einem der vielen arabischen Parteigänger des Nationalsozialismus, aufgehetzte Palästinenser bekriegten die gerade dem Vernichtungswahn Entkommenen. Zwischen 1946 und 1949 kämpfte Karl in der Hagana und später in der israelischen Armee zunächst für die Unabhängigkeit und dann für den Bestand Israels. Das nehmen ihm heute linke Antizionisten übel. Der Nahostexperte John Bunzl etwa warf Karl öffentlich vor, "niemals Verantwortung" für die behaupteter maßen von Israelis verursachte palästinensische Katastrophe ("Nakbah") übernommen zu haben. Aber es gab und gibt Linke, die nicht derart blind gegenüber der Notwendigkeit jüdischer Selbstverteidigung und Staatsbildung waren. So sprach Max Adler 1933 vor ArbeiterzionistInnen in Wien von der berechtigten "Wehrhaftigkeit [...], solange sich die arabischen Massen noch von ihren Effendis gegen die jüdischen Siedler aufhetzen lassen." Und die Sowjetunion begrüßte zunächst die Gründung des Staates Israel, dessen Schutzfunktion angesichts der Shoah und der universellen Einsamkeit des Judentums evident war.

1951 kehrte Karl jedoch nach Österreich zurück. Er tat dies, wie er heute sagt, aus schierer Neugier und aus Abenteuerlust. Manchmal wisse er aber nicht, ob die Rückkehr in das Täterland, das Opfer sein wollte, nicht falsch war. In den letzten Jahren kam ein gesundheitliches Motiv dazu: Dieses Land, von dem Michael Scharang mal meinte, es könne durch keinen Skandal erschüttert werden, weil es ein Skandal sei, hilft nach eigenem Bekunden gegen Karls zu niederen Blutdruck. Ja, es scheint so zu sein, als würde ihm die dauernde Aufregung angesichts der Zustände und Verhältnisse in Österreich gut tun. Tatsächlich ist dieser unermüdliche Kämpfer und Streiter ein lebender Beweis für die Richtigkeit der Annahme Adornos, dass Kritik vor allem sublimierte Wut ist.

In Wien suchte er zunächst die Nähe zu KommunistInnen, denen er wie so viele Jüdinnen und Juden ihren Beitrag zur Befreiung hoch anrechnete. Aber ein Beitritt zur KPÖ scheiterte an Karls notorischer Ungläubigkeit, welche ihn auch an der Unfehlbarkeit Stalins zweifeln ließ. Bald wurde er zu einem leidenschaftlichen Streiter gegen den in der Linken grassierenden Antisemitismus, der sich antizionistisch gebärdet. Zunächst in Leserbriefen und dann als Autor in verschiedenen Zeitungen (AZ, Wiener Tagebuch, FORVM, Wochenpresse usw.) widmete sich Karl daneben kritisch dem "Realen Sozialismus" in Ungarn und den NS-Kontinuitäten in der Zweiten Republik. Zwischen 1982 und 1995 arbeitete Karl als Redakteur der Gemeinde, des Organs der Israelitischen Kultusgemeinde. Seit Anfang der 1990er Jahre ist er Wiener Korrespondent des Israelischen Radios, des monatlich erscheinenden antifaschistischen Londoner Magazins Searchlight und der christlichen Wochenzeitung Hetek (Budapest). Darüber hinaus verfasste Karl zahlreiche Beiträge für in- und ausländische Zeitungen und Zeitschriften sowie mehrere Bücher und Buchbeiträge.

Sein Engagement brachte Karl Anfang 2000 den Vorwurf des FPÖ-nahen Wochenblättchens Zur Zeit ein, den rechtsextremen Politologen Werner Pfeifenberger in den Tod "gehetzt" zu haben. Er identifizierte nämlich zuvor in Pfeifenbergers Beitrag für das offizielle FPÖ-Jahrbuch zahlreiche "NS-Töne", was diesen in Konflikt mit österreichischem Recht brachte. Einem Jahre später beginnenden Verbotsgesetzverfahren entzog sich der Politologe durch Selbstmord, wofür unter der Verantwortung des damaligen Haider-Beraters Andreas Mölzer der "jüdische Journalist Karl Pfeifer" und eine von ihm angeführte "Menschenhatz" verantwortlich gemacht wurden. Karl wollte sich das zu Recht nicht gefallen lassen und zog gegen Mölzer und Kameraden vor Gericht. Ein mehrjähriger Instanzenweg, den Karl wohl nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Unterstützung seitens des "anderen" (vermeintlich besseren) Österreichs als so anstrengend empfand, kam im November 2007 endlich zu einem guten Ende: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die Republik, weil das Oberlandesgericht Wien fälschlicherweise in den Angriffen von Zur Zeit keine üble Nachrede erkennen wollte. In den Tagen bis zum Urteil erlebte ich Karl als sehr angespannt und beständig zwischen Resignation und Zuversicht schwankend. Die bestätigende und mobilisierende Wirkung des Straßburger Urteils kann schließlich gar nicht überschätzt werden: Damit wurde nicht nur ihm etwas von dem Glauben an die Gerechtigkeit und die Sinnhaftigkeit des ewig scheinenden Kampfes zurückgegeben.

Der Jubilar wurde nicht gerade mit Preisen und Anerkennungen überhäuft, was angesichts seiner Kompromisslosigkeit und Hartnäckigkeit im Kampf gegen den Antisemitismus und all die Lebenslügen der Republik auch nicht überrascht. Zu unbequem ist er Herr und Frau Österreicher. Tatsächlich nahm Karl noch nie Rücksicht auf parteipolitische Befindlichkeiten, taktische Überlegungen oder irgendwelche partikularen Interessen, sondern legte seinen Finger auf alle Wunden, zu jeder Zeit. Fremd sind ihm auch der Opportunismus und die moralische Urteilsunfähigkeit, welche sich hinter "wissenschaftlicher Objektivität" verschanzen. 2003 bekam dieser Beschmutzer so vieler Neste für sein Engagement die Samuel Bloch Medaille der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich (Laudatio von Wolfgang Neugebauer »).

Ich verdanke Karl, den ich Mitte der 90er Jahre im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes kennen lernen durfte, sehr viel. Neben einem klareren Blick auf die antisemitischen Bedrohungen, der ungebrochenen Leidenschaft im Kämpfen und dem Humor, der davor schützt, über die Beschäftigung mit dem Wahn selbst wahnsinnig zu werden, ist es sein praktischer Humanismus, der mir als Vorbild dient. Vor allem half mir Karl, die linken Scheuklappen abzulegen: Nur weil sich jemand "Kommunist" oder "Linker" nennt, ist er noch lange nicht immun gegenüber Antisemitismus, ganz im Gegenteil!

Von AntisemitInnen gemeinsam mit Karl zur "Gruppe der Kriegstreiber und Zionisten" (Antiimperialistische Koordination) gezählt zu werden, ist mir Lob und Auftrag zugleich. Ich hoffe, dass wir noch ganz lange Gelegenheit haben werden, gemeinsam gegen solche Linke und gegen die Rechten zu kämpfen - auf viele, viele weitere Jahre, mein lieber Freund!


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