Jüdische Opfer

In der Diskussion über den antisemitischen Gehalt der sadistischen Blutorgie von Mel Gibson ("The Passion of the Christ") hat sich nun auch der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl zu Wort gemeldet (Der Standard, 22. 3. 2004). Hannes Tretter, Anton Pelinka und Ruth Wodak antworteten auf die bedenkliche Wortmeldung Seidls. Wir dokumentieren im Folgenden ihren Leserbrief (Der Standard, 25. 3. 2004):


Herr Seidl meint, wenn Juden "keifend, unsympathisch, dünkelhaft" dargestellt werden, dann sei das "ihre Geschichte - also was soll das?" "Juden" (nicht: manche, sondern Juden schlechthin) sind also "keifend, unsympathisch, dünkelhaft". Herr Seidl meint, "seit dem Holocaust (sei) es ein Problem..., gegen Jüdisches - (also nicht: gegen bestimmte Juden) - überhaupt etwas zu sagen." Und: "Wenn man auf der Seite der Palästinenser steht, ist man dort schon abgeschrieben."

Er entdeckt ein Tabu - um es mutig zu verletzen. In Wahrheit erfindet Herr Seidl dieses Tabu, um seine Position zu immunisieren. "Endlich muss man auch Juden kritisieren dürfen" - hat jemand je dies verboten, falls bestimmte Menschen etwas gemacht haben, was den Schreiber/Leser/Seher stört?

Hier geht es um Generalisierungen, um Entlastung von "Schuld" ("endlich machen die Juden auch was Böses"). Niemand ist deshalb Antisemit, weil er (sie) "auf der Seite der Palästinenser steht". Aber: Es entspricht dem neuen alten Antisemitismus, eine solche intellektuell unzumutbare Vereinfachung anderen zu unterschieben - damit man so richtig tapfer ist, wenn man gegen die selbst konstruierten Tabus vorgehen kann.

Es fehlt nur noch, dass Herr Seidl Political Correctness zitiert - und sich (und alle, die "auf der Seite Palästinenser" stehen; oder die "gegen Jüdisches überhaupt etwas sagen") als Opfer von "pc" hinstellt. Erstaunlich, dass hier eine längst überholt geglaubte, von der historischen Forschung mit vielen Fragenzeichen versehene Interpretation der Evangelien ganz einfach als historische Wahrheit genommen wird. Oder auch wiederum nicht - der Antisemitismus greift nach allen Strohhalmen, um seine intellektuell sinnlose Sicht zu "objektivieren".

Hannes Trettner, Anton Pelinka, Ruth Wodak
Austrian National Focal Point des EUMC, Boltzmann-Institut für Menschenrechte, Institut für Konfliktforschung, Institut für Sprechwissenschaft Wien


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