AIK-Unterstützungserklärung

Mitte Juni ging ein "Offener Brief" an das DÖW ein. In diesem drücken 65 Personen ihre "Bestürzung" über den Text "Die Antiimperialistische Koordination (AIK) - Antisemitismus im linken Gewand" aus, ohne auf die dort formulierte Kritik einzugehen. Stattdessen wird behauptet, das DÖW würde jede Kritik an Israel als "antisemitisch" bezeichnen. Da dieser Vorwurf sich bei einer genauen Lektüre des inkriminierten Textes als haltlos erweist, soll hier nicht darauf eingegangen werden. Im Folgenden veröffentlichen wir den "Offenen Brief" sowie die Antwort des wissenschaftlichen Leiters des DÖW Dr. Wolfgang Neugebauer.

Offener Brief, 12. 6. 2003 »

Stellungnahme Wolfgang Neugebauers, 3. 7. 2003 »



Offener Brief, 12. 6. 2003


An das
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
Dr. Wolfgang Neugebauer
Wipplingerstr. 6-8
A-1010 Wien

Wien, den 12. Juni 2003

Betrifft: Aussendung des DÖW "Die Antiimperialistische Koordination (AIK) - Antisemitismus im linken Gewand"

Sehr geehrter Dr. Neugebauer,

Einige der Unterzeichner des vorliegenden Offenen Briefes haben unter Einsatz ihres Lebens gegen das nationalsozialistische Regime Widerstand geleistet, gegen seinen Antisemitismus ihr Leben riskiert. Andere sind Opfer oder Nachkommen von Opfern des Faschismus. Wieder andere von uns haben sich schlicht ihr Leben lang gegen Faschismus und Rassismus eingesetzt. Nun müssen wir uns die Etikettierung "antisemitisch" gefallen lassen. Warum? Weil das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, eine Institution deren Arbeit wir bislang als höchst wertvoll und unentbehrlich betrachtet haben, eine neue Kategorie des Antisemitismus entdeckt zu haben glaubt: Kritik an der israelischen Politik.

Wir, die Unterzeichner des vorliegenden Briefes, haben die unterschiedlichsten politischen Weltanschauungen. Wir gehören unterschiedlichsten Organisationen und Vereinen an oder sind parteilose Privatpersonen. Auch teilen viele von uns die Positionen der in Ihrer Aussendung kritisierten Antiimperialistischen Koordination (AIK) in keinster Weise. Uns verbindet im Grunde nichts anderes als die Tatsache, dass wir - in unterschiedlichster Form - Kritik an der Besatzungspolitik des israelischen Staates üben.

Mit Bestürzung mussten wir die Aussendung des DÖW "Die Antiimperialistische Koordination (AIK) - Antisemitismus im linken Gewand" vom 28. Jänner 2003 zur Kenntnis nehmen. Sie betrifft zwar in erster Linie die AIK, doch ist aus dem Dokument unschwer abzulesen, dass der Angriff gegen alle gerichtet ist (oder in Zukunft gerichtet werden soll), die in der einen oder anderen Form Kritik an der israelischen Politik üben. Wie sonst soll die kommentarlose Apostrophierung als antisemitisch von Aussagen, welche die (Un)taten der israelischen Armee im Flüchtlingslager Jenin oder die systematische Diskriminierung der arabischen Staatsbürger Israels thematisieren, aufgefasst werden.

In der Tat scheint die Aussendung des DÖW festschreiben zu wollen, was wir seit längerer Zeit mit großem Bedauern in einigen Medien (nicht nur in kommerziellen, sondern auch in sogenannten alternativen, sich als links verstehenden wie "Indymedia") sowie im öffentlichen Auftreten der Israelitischen Kultusgemeinde und nun auch des DÖW beobachten mussten: 1) Jedwede Kritik an Israel ist per se antisemitisch; 2) Eine Diskussion um die Inhalte dieser Kritik ist weder erwünscht noch möglich, sondern muss verhindert werden; 3) Zu diesem Zwecke bedient man sich unlauterer Methoden wie aus dem Zusammenhang gerissener und oft unüberprüfbarer Zitate, Halbwahrheiten, Behauptungen, unzulässiger Vergleiche und Gegenüberstellungen und Diffamierungen.

Wir halten dazu fest: 1) Wir weisen die Gleichsetzung von Kritik an Israel mit Antisemitismus zurück; 2 ) Wir haben uns immer gegen Antisemitismus, Faschismus und Rassismus eingesetzt; 3) Aus eben diesem Grunde kritisieren wir die völkerrechtswidrige Besatzungspolitik Israels und setzen uns für eine Lösung des Nahostkonfliktes ein, die allen in der Region lebenden Menschen gleiche Rechte garantiert; 4) Eine inhaltliche Auseinandersetzung zu diesem Thema wurde von uns immer begrüßt und gesucht. Von Seiten jener, die Kritik an Israel als antisemitisch bezeichnen, wurde sie hingegen immer abgelehnt und verhindert; 5) Wir werden trotz dieser bedauerlichen Entwicklung an unserem Engagement festhalten und fordern weiterhin zum Dialog über die Inhalte unserer Kritik an Israel auf.

"Diejenigen, die jede Kritik an Israel verurteilen, schaden Israel damit. Die einzige Möglichkeit die nationale, ethnische und konfessionelle Existenz der jüdischen Bevölkerung im Nahen Osten zu sichern, ist zu zeigen, dass es keine vollkommene Identität zwischen der israelischen Politik und dem israelischen Volk gibt. Hingegen ist der Versuch Kritik an Israel zum Schweigen zu bringen und Solidarität mit den Palästinensern zu verurteilen das schlimmste Geschenk, das man dem israelischen Volk machen kann. (...)
Wenn die Solidaritätsbewegungen mit dem palästinensischen Volk in Europa eine klare Linie ziehen zwischen ihrem gerechten Kampf auf der einen und jedweder Art von Rassismus und Faschismus auf der anderen Seite und wenn sie sich dann in ihrem Kampf nicht beirren lassen, so ist dies das größte Geschenk, das sie dem israelischen Volk machen können. Darum appelliere ich an Sie: Lassen Sie sich nicht in die Defensive drängen, fahren Sie in ihrem Kampf fort. Es ist der beste Weg, die jüdische Existenz im Nahen Osten zu sichern."

Michael Warschawski, Alternative Information Center, Jerusalem, während seines Vortrages "Ist Antizionismus gleich Antisemitismus?", Wien, 12. Jänner 2003

Unterzeichner:

Paula Abrams-Hourani, Frauen in Schwarz, Wien
Tom Allahyari, Wien
Johann Anthofer, antifaschistischer Widerstandskämpfer, Seniorsprecher des Antifaschistischen Personenkomitees Burgenland
Wilfried Bader, parteiunabhängiger Gemeinderat Angerberg, Tirol
Gunnar Bernhard, Sozialarbeiter, Wien
Dr. Andrea Bertolini, Journalist, Wien
Daniel Buell
Gerhard Drexler, KPÖ Wien
Manfred Ebner, Landesvorsitzender KPÖ Tirol
Juno Sylva Englander, Global Mothers, Wien
Jürgen Enser, KSV Linz
Mag. Andreas Fabisch, KPÖ
Helmut Fellner, Arbeiterkammerrat, Wien
Margarethe Gal, antifaschistische Widerstandskämpferin
Werner Gilits, Berufschullehrer, Wien
Rudolf Glanz, KPÖ Wien
Dr. Jürgen Grabner, KPÖ Oberösterreich
Beatrix Grasenick, Angestellte, Wien
Elisabeth Gschaider, Angestellte, Wien
Sonja Jamokjian-Huber, Friedensbüro Wien
Dr. Haimo L. Handl, Politikwissenschafter, Wien
Angelika Hipfinger, Studentin Wien
Dr. Hannes Hofbauer, Verleger, Wien
Irmgard Hubauer, Projektbeauftragte WU-Wien
Oliver Jonischkeit, ÖGB-Sekretär
Elke Klahr, Geimeinderätin Graz
Ernst Kaltenegger, KPÖ Stadtrat, Graz
Martin Khull-Kholwald, Gemeinderat Graz
Etsuko Kondo, Musikerin, Mitglied der japanischen Kampagne "Kinder für Palästina", Wien
Elisabeth Lindner-Riegler, Lehrerin AHS-Vereinsgasse, Wien
Gerhard Mack, KPÖ Wien
Peter Melvyn, Frauen in Schwarz, Wien
Univ. Prof Hans Mikosch, Wien
Dr. W. Murgg, Geimeinderat Leoben
Alexander Muth, Übersetzer, Wien
Kathrin Niedermoser, KPÖ Salzburg
Engelbert Novak, KPÖ
Univ. Prof. Gerhard Oberkofler, Innsbruck
Karin Oberkofler, KPÖ Tirol
Andreas Pecha, Friedensbüro Wien
Josef Pfeifer, Eisenbahner, SPÖ Wien
Werner Pirker, Journalist, Wien
Alexandra Pomper, Kulturverein Kanifani, Wien
Michael Pröbsting, ArbeiterInnenstandpunkt, Wien
Walter Ratley, Angestellter, Wien
Dr. Rudolf Reiter, Richter, Salzburg
Lisl Rizy, KPÖ Wien
Charlotte Rombach, KPÖ Wien
Waltraud Schauer, Pensionistin, Wien
Selma Schacht, KPÖ Wien
Anna Schmid, Lehrerin, Wien
Karl Schmid, Angestellter, Wien
Florian Schwanninger, KPÖ
DI Reinhard Seiß, Raumplaner, Wien
Dr. Petra Stöckl, Akademie der Wissenschaften, Innsbruck
Caudia Trost, KPÖ Salzburg
Gabriela Vana-Kowarzik, Rechtsanwältin, Wien
Willi Weinert, Alfred Klahr Gesellschaft
Walter Winterberg, KPÖ Wien
Hanno Wisiak, KSV Graz
Edgar Wolf, KPÖ Salzburg
Baruch Wolski, Angestellter, Wien
Erna Zanger, KPÖ Wien
Othmar Zendron, Lehrer, GÖD EBSL 14, Wien



Stellungnahme Wolfgang Neugebauers, 3. 7. 2003


An die UnterzeichnerInnen des Offenen Briefes betreffend "Aussendung des DÖW 'Die antiimperialistische Koordination (AIK) - Antisemitismus im linken Gewand'"

Wien, am 3. Juli 2003

Sehr geehrte Damen und Herren,

über Ihren an mich gerichteten Offenen Brief vom 12. Juni 2003 habe ich mit einigen UnterzeichnerInnen im DÖW ein Gespräch geführt, in dem ich die vorgebrachte Kritik zur Kenntnis genommen und die Position des DÖW in dieser Fragen klargestellt habe. Darüber hinaus habe ich auch eine grundsätzliche Stellungnahme zu der Frage "Israelkritik - Antisemitismus" versprochen. Ich darf Ihnen daher in aller Kürze unsere Haltung erläutern:

- Der Ordnung halber ist festzuhalten, dass es sich bei dem kritisierten Beitrag nicht um eine "Aussendung des DÖW", sondern um einen Artikel in der Rubrik der "Aktion gegen den Antisemitismus" auf der Homepage des DÖW handelt. Als wissenschaftlicher Leiter des DÖW entziehe ich mich aber nicht der Letztverantwortung für Veröffentlichungen auf der DÖW-Homepage.

- Das DÖW hat an sich nicht die Aufgabe, sich mit Nahost-Konflikt, Israel oder anderen weltpolitischen Problemen auseinander zu setzen; es tut dies nur dann, wenn sich ein Zusammenhang mit den Aufgabenstellungen des DÖW ergibt, zu denen die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, "Revisionismus" und Antisemitismus/Rassismus gehört. Wenn wir auf antisemitische oder rassistische Aussagen stoßen, ist dies zu dokumentieren und kritisieren, unabhängig davon, welchem politischen Lager oder welcher Richtung die Verantwortlichen zuzurechnen sind.

- Der Hauptvorwurf Ihres Offenen Briefes, dass wir jede Kritik an der israelischen Politik als Antisemitismus abqualifizieren, ist völlig haltlos, denn nirgends in diesem Beitrag findet sich eine solch pauschale Aussage. Niemand im DÖW vertritt eine solche Haltung. Um es noch deutlicher zu sagen: eine kritische Beurteilung der israelischen Politik oder israelischer Politiker oder Parteien ist durchaus legitim und muss in einer pluralistischen Demokratie zulässig sein. Auch das Eintreten für einen unabhängigen palästinensischen Staat ist keineswegs mit Antisemitismus gleichzusetzen, wenn damit nicht das Existenzrecht Israels und der jüdischen Bevölkerung Israels in Frage gestellt wird.

In dem von Ihnen kritisierten Beitrag über die AIK ging es aber gar nicht um solche prinzipiellen Fragen; vielmehr wurden darin ganz bestimmte von uns als antisemitisch qualifizierte Aussagen und Aktivitäten der AIK bzw. in deren Umfeld (RKL) kritisch dargestellt. Sie können die Details weiterhin unserer Homepage (Die antiimperialistische Koordination (AIK) - Antisemitismus im linken Gewand ») entnehmen. Weder die KPÖ noch andere linke Organisationen wurden darin erwähnt, und es erfolgten auch keine verallgemeinernden Schlüsse auf andere politische Gruppen.

Bei dem erwähnten Gespräch am 12. Juni im DÖW habe ich auf die mir damals gerade untergekommene Solidaritätserklärung der AIK für den jordanischen "Revisionisten" Alloush aufmerksam gemacht. In der Folge hat sich die AIK kurzfristig von diesem Holocaustleugner distanziert, diese Distanzierung aber bald wieder revidiert und offen zum Ausdruck gebracht, dass die Araber auf Grund der zionistischen Berufung auf den Holocaust quasi ein Recht hätten, diesen zu leugnen.

Auf der AIK-Homepage heißt es nun wörtlich:
"Die Beweggründe Alloushs und sein Ziel sind jedoch vollkommen andere als jene der europäischen Revisionisten. Er nimmt einfach das zionistische Argument, der Holocaust würde ihnen das Recht auf Palästina geben, ernst und begegnet ihm nicht durch die Aufzeigung der falschen Verknüpfung, sondern durch das Leugnen des Faktums der Judenvernichtung selbst.
Daraufhin entfernte die Redaktion den Artikel mit einer Erklärung, dass wir keine revisionistischen Positionen dulden, so legitim der Kampf gegen die US-Herrschaft im arabischen Raum auch ist. (...)
Mit Recht meinten in der Folge Stimmen von arabischer und antiimperialistischer Seite, dass es eurozentristisch wäre, die Dinge so einfach gleichzusetzen, und es bei diesen getroffenen Maßnahmen zu belassen. Nicht die Araber seien für den Holocaust verantwortlich. Denn selbst wenn es auch im arabischen Raum teilweise Feindschaft gegenüber Juden gebe, die zu bekämpfen sei, so sei diese doch keinesfalls mit dem europäischen Antisemitismus zu vergleichen."
(http://www.antiimperialista.com/view.shtml?category=all&id=1057076999&keyword=+)

Für das DÖW als eine antifaschistische wissenschaftliche Einrichtung, für die die Auseinandersetzung mit dem "Revisionismus" einen hohen Stellenwert hat, ist eine solche Haltung unannehmbar, und sie ist auch mit der österreichischen Rechtsordnung, die jede Holocaustleugnung als nationalsozialistische Wiederbetätigung unter Strafe stellt, unvereinbar. Ich stelle daher an Sie alle die Frage, ob Sie sich in Kenntnis dieser neuen Umstände weiterhin mit dieser Gruppe solidarisieren wollen. Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer
Wissenschaftlicher Leiter


Siehe dazu ausführlich:
Wolfgang Neugebauer, Israelkritik als neuer Antisemitismus? (veröffentlicht in: Schalom. Zeitschrift der österreichisch-israelischen Gesellschaft, Nr. 3/4, Oktober 2003, S. 28-30)


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